Salzburg/München, 19. November 2024 – Das Konzept der AHI 2024 ist nicht nur disziplinübergreifend, sondern auch über die Altersklassen hinweg wird hier den Nachwuchssportlern in Dressur und Springen eine großartige Bühne auf internationalem Parkett geboten. Doch der Weg dorthin ist weit – neben Disziplin, Schweiß, Ausdauer und dem nötigen „Kleingeld“ verlangt dieser Sport auch die richtige Einstellung, gepaart mit Verantwortungsbewusstsein für den Partner „Pferd“.
Über die wichtigsten Voraussetzungen, Fördermaßnahmen in den jeweiligen Verbänden und warum Jungs nicht nur Fußball spielen wollen, sprechen wir mit zwei Expertinnen aus dem benachbarten Bayern: Michaela Beer, seit 2009 Landesjugendleiterin, erfolgreich bis Grand Prix, Richterin, Ausbilderin und Trägerin der Graf-Landsberg-Velen Medaille in Bronze sowie Sabine Winterling, Mitglied der Bundesjugendleitung Ressort Breitensport und 2. Stellvertretende Landesjugendleitung Bayern, Ausbilderin und Richterin bis zur Schweren Klasse Springen / Dressur M gewähren uns wertvolle Einblicke.
AHI 2024: Die CWD Munich Young Talents sind gerade in München-Riem zu Ende gegangen. Im abschließenden S** Springen lagen bekannte „Sprösslinge“ vorne wie z.B. die Siegerin Brianne Beerbaum (Landesverband Hannover), dicht gefolgt von Emma Bachl von der weit über die Landesgrenzen hinaus bekannten Hengststation aus Bayern. Das Talent vielleicht von den berühmten Eltern in die Wiege gelegt, aber was braucht es aus Eurer Sicht an Grundeigenschaften, um eine erfolgreiche Karriere im Turniersport aufzubauen?
Michaela Beer: Das Wichtigste ist natürlich Talent, Ausdauer, das Pferdematerial, Trainer und eine Menge Geduld. Die Eltern müssen zu 100 % hinter diesem wunderbaren, aber auch zeit- und geldaufwendigen Sport stehen, sonst kommen die Jugendlichen leider nicht weiter.
Sabine Winterling: Es braucht vor allem viel Fleiß, aber auch ein vernünftiges Selbstbewusstsein und vor allem körperliche Fitness. Der große Vorteil von Reiterfamilien ist, dass Fachwissen und Management in der Familie bereits vorhanden sind. Wichtig ist eine vorzeitige Veranstaltungs-/Turnierplanung und Planung des Gesundheitsmanagement (z.B. Impfungen), also eine vernünftige und langfristige Planung, um Pferd & Reiter behutsam an den Sport heranzuführen. Es bedarf an Durchhaltevermögen und Konsequenz im richtigen Maß – die Einschätzung der eigenen Leistung ist sehr wichtig.
AHI 2024: Welche Chancen haben junge Talente, die aus einer nicht ganz so bekannten „Kinderstube“ kommen – wie sehen aktuell Förderprogramme in Bayern aus oder wo könnte man noch „nachbessern“?
Michaela Beer: Es gibt in den 4 Regionalverbänden eine Menge Förderprogramme und vom BRFV (Bayerischer Reit- und Fahrverband) den Bayern Ponycup. Jeder Regionalverband hat auch seine eigenen Kader und so arbeitet sich die Jugend langsam zum Landeskader vor. Wir sehen die Talente auf Sichtungen, Landesmeisterschaften oder auf einzelnen Turnieren. Teilweise veranstaltet der BRFV auch ein Talentscouting, z.B. in der Vielseitigkeit jedes Jahr am 2. Advent.
Sabine Winterling: Förderstufen und Kaderlehrgänge zeigen Stärken und Schwächen auf. Durch kurze Wege, schnelle Kommunikation tauschen wir uns aus und in der Jugendsitzung im Herbst wird dann nominiert. Während der Saison kann nochmals nachberufen werden. So geht mancher Weg vom Regional- über den Bayern- zum Bundeskader sehr schnell. Viele Gespräche mit der Jugendleitung, Trainern und Eltern führen gemeinsam zum Ziel.
AHI 2024: Apropos Gleichberechtigung: erinnern wir uns einmal, wie früher fast nur junge Mädels durch die Stallgasse geflitzt sind, später aber auf den Turnierplätzen zahlreiche männliche Kollegen zu finden waren. Woran liegt das Eurer Meinung nach – hängen die Jungs den Fußball an den Nagel oder trainieren heimlich, während sich bei den Mädels oft mit dem ersten Freund die Spreu vom Weizen trennt?
Michaela Beer: Auch wir stellen uns oft die Fragen, wo auf einmal die Jungs herkommen. Teilweise ist Reitsport mit Mädchensport in der Schule verpönt und in jungen Jahren finden die Jungs Fußball einfach cooler, viele trainieren glaube ich aber erst einmal zu Hause heimlich. Wer dem Sport einmal verfallen ist, wird ihn auch nicht aufgeben, aber trotzdem wird durch Studium etc. manchmal der Sport etwas zurückgestellt und später wieder begonnen. Bis 21 bleiben die Jugendlichen meist bei der Stange und dann kann es schon sein, dass der ein oder andere aus beruflichen Gründen einmal pausiert.
Sabine Winterling: Inzwischen hat sich das Reiten auch für die Jungs im Jugendbereich etabliert. Es gibt z.B. ein Programm der FN „Jungs auf s Pferd“ mit Fördermöglichkeiten (z.B. durch spezielle Trainerlehrgänge in Warendorf). Reiten ist kein reiner Mädchensport mehr: die Erfolge unserer Olympiasieger (Christian Kukuk holte in Paris Gold im Springen) und erfolgreichen Reiter spornt so manchen jungen Reiter an. Es gibt auch in Reitschulen schon eigene Jungs-/Männerreitstunden. Viele Jungs kommen aber auch aus Reiterfamilien und sind daher nicht in den klassischen Reitschulen anzutreffen.
AHI 2024: Wo entdeckt Ihr talentierte Nachwuchssportler und woran erkennt Ihr, dass jemand – unabhängig von der Disziplin – das „gewisse Etwas“ mitbringt?
Michaela Beer: Das Talent erkennt man nicht nur an der Art und Weise, wie geritten wird, sondern auch am Umgang mit dem Pferd sowie dem Zusammenspiel von Eltern und Trainern. Fleiß und Geduld ist das „a &o“ in unserem Sport, denn wir haben es mit einem Lebewesen zu tun. In der heutigen Zeit ist das ein ganz entscheidender Aspekt. Wichtig sind für uns beim BRFV außerdem der stetige Austausch mit den Regionalverbänden sowie die Sichtungen und Landesmeisterschaften. Oft entdecken Sabine und ich auch schon mal das ein oder andere Talent beim Richten am Turnier selbst.
Sabine Winterling: Ganz genau, speziell beim Umgang mit dem Pferd und dann beim Abreiten kann man viel erkennen. Durch viele Gespräche und Beobachtungen fällt so manches Talent auf. Wichtig sind auch Background und Management. Manche „Reiter/Pferd“-Kombination wird durch übermäßigen Einsatz gern schon mal überstrapaziert. Hier kann man durch direktes Ansprechen auch entsprechend einwirken. Wichtig sind dennoch als Sichtungsweg die Regional- und Landesmeisterschaften.
AHI 2024: Wie wichtig ist eine „vielseitige“ Ausbildung von jungen Reitern und welche Bedeutung hat in Euren Augen zum Beispiel der Vierkampf, bei dem neben Schwimmen und Laufen auch die Disziplinen Dressur und Springen gefordert sind?
Michaela Beer: Vielseitige Ausbildung von Beginn an finde ich sehr wichtig, da sich die Jugendlichen ja nicht gleich spezialisieren sollten. Vierkampf ist für mich ein wichtiger Einstieg, da hier auch die Fitness einen großen Teil des Wettkampfs ist und heute in den Schulen der Sport eher hintenansteht.
Sabine Winterling: Der Vierkampf und die „vielseitige Ausbildung“ haben eine große Bedeutung. Laufen und Schwimmen haben zusätzlich noch die Funktion des Ausgleichssports. Es sollten auch Dressur- und Springprüfungen mit einer Kombiwertungen mehr gefördert werden – wenn möglich, auch kleine Geländewettbewerbe (Geländereiterwettbewerb), wie z.B. der Kids Cup Niederbayern/ Oberpfalz.
AHI 2024: Welche Werte gebt Ihr in Eurer Funktion den jungen Nachwuchsportlern abseits von Viereck und Parcours sonst noch mit auf den Weg?
Michaela Beer: Ich versuche den Jugendlichen vor allem die Kreatur Pferd zu vermitteln und das es wichtig ist, das Pferd und Reiter eine Einheit bzw. ein Team bilden. Bei allem Ehrgeiz, den die Jugendlichen haben sollen, muss das Pferd immer an erster Stelle stehen! Ohne das Pferd sind wir nur Fußgänger, keine Reiter. Natürlich müssen die Jugendlichen auch Verantwortung in diesem wunderbaren Sport erlernen, denn ein Pferd kann man nicht in eine Ecke stellen, wenn man heute keine Lust hat, zu trainieren. Was die Jugendlichen auch lernen müssen, ist die Tatsache, dass ihre Eltern die besten Sponsoren sind, die es gibt und es nicht als selbstverständlich ansehen, dass ihnen dieser Sport geboten werden kann.
Sabine Winterling: An oberster Stelle steht der Tierschutz, die Sicherheit und Unfallverhütung. Die Bedeutung und Außenwirkung des Pferdesports in der Gesamtbevölkerung sind sehr wichtig: Miteinander, Teamgeist und Fairness müssen im Vordergrund stehen. Immer fair zum Pferd sein, Pferde und Ponies beobachten – sie geben uns mehr, als wir oft vermuten und auf den ersten Blick sehen.
Wir bedanken uns bei Michaela Beer und Sabine Winterling für das Gespräch & wünschen den „Schützlingen“ viel Erfolg bei der AHI 2024!